Für die Gesamtlage spielen die westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine eine entscheidende Rolle. Bereits zu Anfang des Krieges beim Vorstoß auf Kiew hat sich die Logistik als eine Schwachstelle der russischen Strategie herausgestellt, aus der fehlenden Versorgbarkeit der Streitkräfte an der Front folgte der Rückzug und die Ausweitung der Kampfhandlungen in den Osten der Ukraine. Hier war es den ukrainischen Streitkräften zwar möglich, aus eigenen Mitteln heraus an der Front zu wirken, Ziele im Hinterland waren aber durch die vorrückenden russischen Truppen nicht erreichbar. Diese wiederum weiteten die Versorgung deutlich aus.
Mit dem Eintreffen von westlicher Artillerie und modernen Abstandswaffen änderte sich die Situation. Tatsächlich weißt die auf alten sowjetischen Systemen basierende russische Artillerietruppe deutliche Genauigkeits- und Reichweitendefizite auf. Westliche Systeme sind nicht nur treffsicherer, sie können auch über signifikant größere Distanzen wirken. Es war der Ukraine daher möglich, aus der Entfernung unangreifbar die Front unter Beschuss zu nehmen und so eigenen Einheiten dort zu entlasten. Gleichzeitig konnten mit Abstandswaffen sehr präzise Angriffe auf die Versorgungslinien erfolgen, insbesondere im Süden auch auf die Verbindungen über den Dnipro. Es ist daher unwahrscheinlich, dass Russland Cherson noch lange halten kann. Interessant wird es sein, ob die ukrainischen Truppen (die mit den zerstörten Verbindungen über den Fluss natürlich die gleichen Probleme bekommen können) den Angriff weiter voran treiben und die Krim abschneiden können, oder ob sie sich erstmal am Dnipro befestigen.
Im Nordosten fehlt solch ein starker Engpass, allerdings sind die für eine Großversorgung ausgelegten Straßen auch nicht zahlreich vorzufinden. Interessant ist die Dislozierung der jeweiligen Truppen. Ein Großteil der russischen Artillerie hat sich inzwischen aus den zuvor genannten Gründen zurück gezogen, die Frontlinie wird vor allem durch gepanzerte Einheiten gesichert. Die Ukrainer hingegen rücken in der ersten Linie vor allem mit leichten Einheiten vor (setzen also sehr stark auf Infanterie), die mutmaßlich von der eigenen Artillerie sowie den genannten Abstandswaffen unterstützt wird. Die ukrainischen Panzereinheiten sind in zweiter Linie aufgestellt und augenscheinlich primär zum Schutz der Artillerie abgestellt, um zu verhindern, dass beispielsweise ein koordinierter russischer Vorstoß mit Panzerkräften hier zu einer Gefährdung führt. Auf beiden Seiten verhindern starke Luftabwehrverbände ein effektives Wirken der gegnerischen Luftwaffe aus der Nähe.
Zwei Aspekte sind hervor zu heben. Zum einen sollte man bei den aktuellen Erfolgen der ukrainischen Streitkräfte nicht vergessen, dass sich dadurch neben der unmittelbaren Front im Osten auch eine zweite Angriffsmöglichkeit für die russischen Streitkräfte im Norden ergibt, die potenziell zu einem Abschneiden und Einkesseln der ukrainischen Truppen führen könnte, sofern diese mit ausreichenden Mitteln ausgestattet ist. Zum anderen konnte die gesamte Offensive nur durch die Ausstattung mit westlicher Wehrtechnik erfolgen. Die aktuell immer wieder zu hörenden Forderungen nach modernen Kampfpanzern sind in Anbetracht der Gesamtsituation zwar nachvollziehbar (insbesondere, weil die russischen Panzer als viel zu vulnerabel erwiesen haben), sind aber zweischneidig zu betrachten. Es wäre natürlich ein probates Mittel zur Zerschlagung der aktuell sichernden russischen Panzerkräfte, würde aber gleichzeitig eine deutliche Erhöhung der Anforderungen an die logistische Unterstützung stellen. Moderne Infanteriewaffen und weitere Lieferungen insbesondere von Munition für die Abstandssysteme erscheinen hier augenscheinlich zweckdienlicher.
Gerade der letzte Punkt wird ja immer wieder von sogenannten Intellektuellen oder anderen bekannteren Persönlichkeiten in Frage gestellt, die aufgrund eines völligen Verkennens der Situation mit ihren der russischen Propaganda nur Nahrung gebenden Aufrufen vor allem ihre Ahnungslosigkeit zur Schau stellen. Es muss daher immer wieder betont werden, dass es keinen Frieden zu russischen Bedingungen geben darf, und dass die westliche militärische Unterstützung nicht nur elementar für die Befreiung der Ukraine ist, sondern auch für die Sicherung unserer eigenen westlichen Freiheit. Auch wenn das vielleicht etwas zu pathetisch klingt.